Purim - jüdischer Karneval

Veröffentlicht auf von yerushalayimshelzahav

Vorlesungsthemen sind im Moment das Buch Ezechiel sowie die frühchristlichen Apokryphen, jeweils befragt auf ihre Vorstellungen von Eschatologie, wie es unserem Jahresthema entspricht. In den Apokryphen erfahren wir allerlei über diverse Foltermethoden und -mittelchen in der Hölle. Außerdem gingen wir ins Hinnom-Tal, das mit dem Todestal identifiziert wird und in dem es viele Grabanlagen aus verschiedenen Zeiten zu sehen gibt. Der kleine Ausflug endete mit Kaffeetrinken in der Cinemathek.
Am Montag Abend kam S. E. Erzabt Asterik der ungarischen Benediktinerabtei Pannonhalma, der gerade zweieinhalb Monate Sabbatzeit in der Abtei verbringt, zu uns. Er war schon öfters mit uns auf Exkursion gewesen und hielt nun einen Vortrag über die Geschichte der ungarischen Kirche. Besonders von der Kirchenzerstörung, der Haft, Folter und Hinrichtungen von Christen unter dem kommunistischen Regime erzählte er und wie ihn die Diktatur in seinem Innern geprägt hat.
Kaum daheim aus Jordanien, ging es am übernächsten Tag Masada und Ein Gedi. Masada liegt am Südende des Toten Meeres in der Wüste auf einem hohen Felsen. Wir nahmen um 8 Uhr den Aufstieg in Angriff, der uns eine Stunde und viel Schweiß kostete. Oben konnten wir zwei Palastanlagen von Herodes anschauen. Er hat hier einmal mehr an quasi unmöglichen Orten gebaut, z.B. hat er an den Abhang des Felsen einen dreistöckigen Palast bauen lassen... Im Jüdischen Krieg verschanzten sich hier Sikarier, d.h. eine jüdische Gruppierung, die militant ausgerichtet war. Die Römer belagerten sie sehr lange und schütteten schließlich eine Belagerungsrampe auf, die an die Mauern heranreichte (man kann sie noch heute sehen) und nahmen so Masada ein. Die Sikarier hatten sich aber alle vorher umgebracht. Masada gilt deswegen als DAS Symbol der israelischen Freiheitsliebe, weshalb hier auch für einige Zeit die Rekruten vereidigt wurden.
Weiter ging es nach Ein Gedi, einer Oase am Toten Meer. Erst schauten wir die Überreste einer Synagoge aus dem 3. Jahrhundert an, dann auf einem Gipfel einen Tempel von 4000 v. Chr.. Ein junger Ranger, der wie eine Bergziege über die Felsen sprang, war mit unserer Anwesenheit nicht einverstanden und hatte es eilig, uns wieder hinunter- und herauszubitten.
Zum Abschluss badeten wir im Toten Meer. Endlich erlebte ich auch, wie es ist, im Wasser zu schweben und sich von und auf den Wellen tragen und treiben zu lassen. Nur fühlt man sich vom Salz hinterher verschmiert.
Am Mittwoch mussten wir mit Tränen in den Augen unseren Studienassistenten Miro verabschieden, der aus gesundheitlichen Gründen in die Heimat muss.
Nachmittags streiften wir durch den jüdischen Markt, die Mahane Yehuda. Hier geht es ein wenig beschaulicher zu als im arabischen Suq und das viele Gemüse, das angeboten wird, leuchtet in prächtigen Farben. Die Leute waren teilweise schon verkleidet für das Purimfest, davon später. Spontan gingen wir in die Kirche der Äthiopier. Es ist ein Rundbau, der in der Mitte einen würfelförmigen Bau umschließt, in welchem sich der Altar befindet. Die Kirche ist mit Teppich ausgelegt, man muss sich die Schuhe ausziehen, wie in einer Moschee. Die äthiopischen Gläubigen verneigen sich beim Gebet ungefähr so wie Muslime es tun. Der Gesang der Mönche, die gerade die Vesper beteten, ist nicht zu beschreiben, irgendwo zwischen arabisch, byzantinisch und afrikanisch sind die Melodien zu verorten.
Die Juden feierten am Donnerstag Purim. Sie gedenken der Errettung vor der Vernichtung durch die Perser unter der Königin Esther. Wir veranstalteten am Mittwoch unsere eigene Prä-Purim-Party, an der wir vor allem Karneval nachholten. Am Donnerstag ging es dann auf die Straße und in die Pubs, wo ich auch den Ultraorthodoxen, den ich im Oktober kennengelernt habe, wiedertraf. Es war eine lange Nacht, in der Juden aller Prägungen viel und wild feierten – und wir mit ihnen... Tanzen, Musik, Alkoholkonsum, Polizei und leider auch Gewalt sind ähnlich wie im rheinischen Straßenkarneval, nur in viel kleinerem und weniger intensivem Rahmen. Karnevalsmusik auf hebräisch ist genauso seltsam wie Karnevalsmusik auf hochdeutsch. Unbelehrbare zündeten ständig Chinaböller in der Menge. Alles ist bzgl. der Verkleidung erlaubt (Frauen als Männer, Palästinensertuch und Israel-Flagge etc.), aber schlechte Laune zu haben ist verboten. Am Freitag Mittag erlebten wir dann den „Ausnahmezustand“ im ultraorthodoxen Viertel Mea Shearim: Die Männer in Festtagskleidung aber mit hinzugefügter Verkleidung, die türkische Kopfbedeckung des Fez ist ganz hoch im Kurs, torkelnde Jugendliche, die wollten, dass wir mit unserem Fotoapparat ein Foto von ihnen machen und die dabei vor ein Auto gerieten, tanzende, gröhlende Menschen.
Die Abendmesse in der Abteikirche am Donnerstag gestalteten einige Kommilitonen musikalisch, wobei es zu großen Stilbrüchen zwischen benediktinischer Singweise und Liedern der charismatischen Bewegung kam.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag ging ich zu den Liturgien der Franziskaner. Um 23.30 Uhr begannen die Vigilien. Sie wurden in der kleinen Kapelle gesungen. Die lateinische Sprache sowie die Orgelbegleitung ließen sie sehr schön und erhebend werden. Am Ende wurde unter dem feierlichen Singen des Benedictus der Auferstehung Christi mit einer Prozession um die Grabkammer gedacht: 60 Franziskaner in Reih und Glied, dazu noch viele Gläubige, alle mit Kerzen in der Hand, deren Lichtschein sich in der Kuppel spiegelte. Im Anschluss an die Vigilien nahmen wir an der franziskanisch kurzen Messe auf Golgotha teil. Am nächsten Tag fuhren 7 Studenten auf freiwilliger Basis nochmal nach Tel Aviv, wo wir uns einige Punkte, die mit der Staatsgründung Israels zusammenhängen, anschauten. Bei 30 Grad und strahlendem Sonnenschein gingen wir nach Jaffo, der ursprünglichen Stadt, die schon Ägypter, Kreuzfahrer und Napoleon gesehen hatte und 1948 von zionistischen Kampfeinheiten erobert wurde, sodass dort heute kaum noch Araber wohnen. Auch ein verfallenes Haus, das während der 2. Intifada Ziel eines Selbstmordanschlags wurde, sahen wir. Der Hafen war bis 1950 bedeutend, sowohl als Einfallstor für ankommende Pilger und Juden sowie als Fluchtpunkt für Araber. Tel Aviv (Tel – ein Hügel von alten Sieldungen, Aviv – Frühling, hier wird also Altes und Neues vereint, wie auch Theodor Herzl in seinem Buchtitel „Altneuland“) wurde ursprünglich als Gartenstadt, d.h. als Wohnviertel geplant und sollte hebräisch sein. So stand hier z.B. das erste hebräische Gymnasium. Heute ist weder von dem Gymnasium noch von der Wohnviertelkultur etwas geblieben. In Jaffo steht die Peterskirche, hier soll Petrus die Vision empfangen haben, die Kirche auch den Heiden zu öffnen. Dementsprechend ist die Kirche nach Westen, zu See, Richtung Europa, ausgerichtet.
Auf der Rückfahrt mit dem Linienbus nach Jerusalem war eine Scheibe des Busses bereits zu Beginn der Fahrt von Rissen durchzogen. Nach der Hälfte der Strecke verschlimmerten sich die Risse. Der Busfahrer hielt an und sah es sich an. Er zog den Sonnenschutz davor. Kurze Zeit später fielen die ersten Scherben. Als dann immer mehr Scheiben fielen, hielt er nochmal an. Nach ein paar Minuten wechselten wir in einen anderen Bus, der gerade vorbeikam. Ich stieg zufällig in den vorderen Teil ein und fand mich mitten unter ultraorthodoxen Männern wieder. Wie ich später von Kommilitoninnen hörte, waren im hinteren Teil des Busses nur ultraorthodoxe Frauen – Geschlechtertrennung.
Eine Volontärin, die neu angekommen ist, studiert in Siegen und hat dort am gleichen Qumran-Projekt gearbeitet wie ich in Bonn – die Welt ist klein.
Der Frühling hat mit Macht Einzug gehalten, sodass wir sogar schon Unterricht im Grünen hatten.

Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren:
Kommentiere diesen Post