Reflexion

Veröffentlicht auf von yerushalayimshelzahav

Nun ist das Studienjahr zu Ende, ich bin wieder in heimischen Gefilden. Mein Fazit: Es hat sich gelohnt!

Wenn ich mir nochmal auf der Zunge zergehen lässt, was ich erlebt habe, dann kann ich mich glücklich schätzen, diese Erfahrungen gemacht haben zu dürfen, und es war völlig verrückt: Ich lebte in Jerusalem, der heiligen Stadt der drei großen monotheistischen Weltreligionen, empfand nichts als normaler als die Mauern der Jerusalemer Altstadt zu betreten, gewöhnte mich an die Allgegenwart von Soldaten und Katzen, überhörte aus Gewohnheit den Muezzin-Ruf, ging in die Grabeskirche und zur Klagemauer, so oft und wann ich wollte, besichtigte Felsendom und Al-Aqsa-Moschee, feierte fast wöchentlich immer neue Liturgien in den verschiedensten Sprachen und Riten mit, traf Kirchenhierarchen, wohnte auf dem Berg Zion, vier Häuser neben dem Abendmahlssaal, lebte an einer Benediktinerabtei mit und bekam Einblicke in das monastische Leben, sah unglaublich viele Stätten von biblischer und/oder christlicher Bedeutung, bekam sehr gute Führungen, lebte und studierte mit 13 protestantischen Theologiestudenten unter einem Dach, die in allen Bereichen sehr unterschiedlich ticken, erlebte Weihnachten und Ostern „vor Ort“, bewegte mich und feierte sowohl in jüdischem als auch muslimisch-arabischen Kontext, aß und trank mit Professoren...

Aus einer konfessionsverschiedenen Familie stammend, habe ich die Ökumene neu kennengelernt. Ich erlebte und lernte die protestantischen Traditionen. Dies war eine gute Möglichkeit und bereichernd, aber es war hier auch eine Notwendigkeit, die nicht immer leicht zu tragen und leben war. Dieser Prozess des Lernens im Zusammenleben hat in mir auch eingehende Reflexion in Gang gesetzt, sowohl über eigene Positionen als auch über die anderen Positionen. Dadurch sind mir viele traditionelle katholische Bräuche und Positionen sehr lieb geworden, aber diese können teilweise durch andere Formen und Ansichten ergänzt und befruchtet werden.

Im Moment kann ich noch nicht sagen, inwieweit mich die ökumenischen Erfahrungen prägen werden, aber sie sind ein Teil meiner lebenslangen Identitätssuche geworden.

Ich habe viele Impulse zur Lektüre und zum Verständnis der Heiligen Schrift bekommen. Dazu zählen die Kenntnis der Stätten, die wissenschaftliche Auseinandersetzung sowie die profunde Kenntnis und das intensive Verhältnis zur Schrift vor allem bei den protestantischen Kommilitonen. Besonders der synchrone Zugang zur Schrift ist mir hier in seiner Wichtigkeit bewusst geworden.

Zum Jahresthema „Eschatologie“, zu dem ich vorher keinen Bezug hatte, habe ich verschiedene Zugänge geöffnet bekommen und mein anfängliches Unbehagen über das Thema hat sich in Interesse gewandelt.

Im jüdischen Staat Israel zu leben und an der eigenen Haut die Konflikte zu spüren, hat mich aufgewühlt und die Frage nach Gerechtigkeit für die arabischen Einheimischen aufgeworfen. Darüber werde ich auch in Deutschland viel reden. Sowohl Islam als auch Judentum sind mir näher gekommen, ebenso die orientalische Lebensweise, ich weiß aber, dass ich sie nicht dauerhaft haben möchte.

Besonders werde ich die Hügel Judas vermissen, die Möglichkeit, am Chorgebet teilzunehmen, die Vielfalt an Liturgien in Jerusalem, die ich immer noch nicht alle kenne, die Sonne (auch wenn ich in einem besonders nassen und kalten Jahr hier war), die jüdischen Bäcker und noch einiges mehr, was ich im Moment nicht konkret benennen kann.

Der Gedanke, nun wieder im mehr oder weniger alltäglichen Bonn weiter zu studieren, ist sehr befremdlich. Kaum hat man sich endlich an Jerusalem gewöhnt, geht es wieder zurück in die alte Umgebung, die für mich doch nicht mehr das Gleiche ist.

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